Andreas Sturm MdL

Sturm: „Boris Johnson ist nicht Othello, sondern selbst ein Charakter von Shakespearschem Ausmaß“

Deutschlandfunk Kultur interviewte den Kulturpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion und Shakespeare-Experten Andreas Sturm MdL zur Einordnung von Boris Johnson als Shakespeare-Figur

Die Ära von Boris Johnson neigt sich dem Ende zu, der britische Premierminister sieht sich selbst, wie er öffentlich äußerte, in einer ähnlichen Situation wie der schwarze General "Othello", der in Shakespeares gleichnamiger Tragödie mit Intrigen, Eifersucht und Neid zu kämpfen hat und am Ende seine Ehefrau und sich selbst tötet.

Andreas Sturm MdL, Kulturpolitischer Sprecher der baden-württembergischen CDU-Landtagsfraktion (Foto: Busse)Andreas Sturm MdL, Kulturpolitischer Sprecher der baden-württembergischen CDU-Landtagsfraktion (Foto: Busse)

Angesichts dieses Othello-Vergleichs wandte sich am gestrigen Mittwochabend der bekannte Journalist Vladimir Balzer vom Deutschlandfunk Kultur an den Landtagsabgeordneten Andreas Sturm (Wahlkreis Schwetzingen), der unter anderem in Cambridge studierte, Shakespeare-Experte und -Buchautor sowie Kulturpolitischer Sprecher der baden-württembergischen CDU-Landtagsfraktion ist, mit der Frage: "Welche Bühnenfiguren aus der Shakespeare-Welt kommen denn für Boris Johnson in Frage?"

"Shakespeares Bühnenfiguren haben erstaunliche Parallelen zu Boris Johnson", sagte Sturm, aber mit "Othello" habe Johnson letztlich nichts gemein: "Das ist ein sehr schmeichelhafter Vergleich, den er da gemacht hat. Bei Shakespeare sind die tragischen Helden immer noble Charaktere, die aufgrund eines tragischen Charakterfehlers fallen, und Boris Johnson weiß selbst, dass er kein nobler Charakter ist." Ferner sei es bei Othello so, dass dieser als Schwarzer ein Außenseiter war und Zielscheibe von Rassismus. Johnson hingegen sei Mitglied des Establishments.

Vermutlich wählte Johnson den Vergleich mit Othello, weil dieser einer Intrige seines engsten Untergebenen Iago zum Opfer falle - eine Rolle die Johnson, der bei sich selbst keine Fehler sehe, nun seinem ehemaligen Consigliere Dominic Cummings zuschreibe.

"Für mich ist Boris Johnson eher eine Mischung zwischen Richard III., Falstaff und Macbeth", so Sturm. Falstaff, der Soldat war, Trunkenbold und Sprücheklopfer, würde vom Erscheinungsbild besser passen.

Der Shakespeareexperte weiter: "Eigentlich ist Boris Johnson selbst ein Charakter von Shakespearschem Ausmaß. Er ist auch ein hervorragender Rhetoriker, der sich gerne mit Zitaten schmückt. Einerseits gibt er sich als sehr belesener und intelligenter Mensch, andererseits aber auch wie Falstaff, als jemand, der aus dem Rahmen fällt, als "enfant terrible".

Sturm teilt die Grundthese von Prof. Stephen Greenblatt (Harvard Universität), welche dieser in seinem Buch "Der Tyrann: Shakespeares Machtkunde für das 21. Jahrhundert" veröffentlicht habe: "Shakespeares Bösewichte sind klug, sie haben geniale Züge, aber sie überspannen auch den Bogen und werden unter der Lawine begraben, die sie selbst losgetreten haben."

Boris Johnson sehe sich selbst in der Tradition von Winston Churchill, habe vor wenigen Jahren das Buch "Der Churchill-Faktor" veröffentlicht und wollte auch seit vier Jahren ein Buch über Shakespeare ("Shakespeare: The Riddle of Genius") publizieren, was bislang aber nicht erfolgt sei.

Die Unterstützung seiner Familie habe er ebenfalls nicht mehr, seine Schwester und sein Bruder hätten sich von ihm abgewandt. Sturm: "Auch das klingt nach Shakespeare, das ist meistens in Akt 5, wenn sich die Familie distanziert. Das erinnert mich an Richard III., da sagt sogar seine Mutter zu ihm: `Blutig, das bist Du, blutig wirst Du enden, wie Du Dein Leben wird Dein Tod Dich schänden.´ Der Held fällt am Ende, aber bei Shakespeare wird immer wieder, und das ist das Positive, die Ordnung wiederhergestellt."

Auf die Frage von Balzer, wie denn diese Ordnung im Falle von Boris Johnson aussehen könnte, sagte Sturm: "Normalerweise ist das dann ein Gegenentwurf zu dem, was es gab. Die Tories, wenn es keine Neuwahlen geben wird, werden dann wohl jemanden nehmen, der verbindlich ist, der eben genau das darstellt, was Boris Johnson nicht ist, vielleicht dann auch einen etwas langweiligeren Politiker. Das ist auch manchmal bei Shakespeare der Fall, dass dann jemand auf die Bühne tritt, der nicht ganz so charismatisch ist, wie derjenige, der gerade gefallen ist." (Text/Foto: Matthias Busse)

Link zum Interview mit Andreas Sturm:

https://www.deutschlandfunkkultur.de/boris-johnson-ruecktritt-100.html